Zierhof mit Stube

Abbruch und Wiederaufbau | Pflersch

Fertigstellung: Sommer 2022

Geschichte respektieren und gleichzeitig Grundlage für die Zukunft sein

Ornamente als Traditionelle Zitate

Bei einem Vollbrand wurde der Erbhof 2018 vollständig zerstört. Nach diesem sehr einschneidenden Schicksalsschlag hatten die Eigentümer ursprünglich den Wunsch, das Gebäude an einer komplett anderen Stelle neu zu errichten. Dem Prozess zur Findung des geeigneten Bauplatzes wurde in dieser Phase sehr große Beachtung geschenkt. Die Besichtigung verschiedener Bauplätze in Zusammenarbeit mit den Eigentümern war grundlegender Ausgangspunkt für die endgültige Entscheidung des Standortes für den Neubau. Dabei standen nicht nur die tiefgründigen Analysen des Ortes an sich im Vordergrund (Ausrichtung und Orientierung, Besonnung, topographische Begebenheiten und rechtliche Abklärungen), sondern auch der psychologische Aspekt rückte dabei immer mehr in den Vordergrund. Ein Vollbrand eines privaten Eigenheimes und Heimatortes hinterlässt bei den Betroffenen eindeutige Spuren. Den Ort des Schicksalsschlages wieder zu betreten, löst bei Menschen unterschiedliche Reaktionen aus.

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Die Standort Analysen ergaben einen von der Besonnung, Ausrichtung und Orientierung optimal gelegenen Bauplatz in ähnlicher Lage wie das Bestandsgebäude. Die Hanglage Richtung Süden mit einer zum restlichen Tal erhöhten Positionierung bietet auch in den Wintermonaten, die Möglichkeit den Stand der Sonne optimal zu nutzen. Die Ausrichtung und Orientierung des gewählten Bauplatzes lassen vielfältige Blickbeziehungen zu, man kann sich nicht nur an den jeweiligen Bergspitzen orientieren, sondern der gewählte Standort lässt auch naheliegende „identitätsstiftende“ Beziehungen neu aufleben: So wird der Blick zur denkmalgeschützten Kapelle des Weilers Ast wie auch der Jahrzehnte alte Apfelbaum einer längst ausgestorbenen Apfelsorte wichtiger Bestandteil für die neue Identitätsfindung.
Die Wahl des Standortes des Neubaus fiel also auf einen Bauplatz nicht unweit des ehemaligen Bestandsgebäudes. Aufgrund der topographischen Begebenheiten mit einem leicht ansteigenden Geländeverlaufes in unmittelbare Nähe zum Ursprungs-Hof, wurde eine Verlegung des neu zu schaffenden Volumens um die 50 Meter Richtung ansteigenden Gelände bevorzugt. Nah am Schicksalsort, aber dennoch verschoben. Die Geschichte des Ursprungshofes, mit seiner schlimmen Vergangenheit, wird somit auch räumlich hinter sich gelassen und eine persönliche Annährung für die Eigentümer wieder ermöglicht.
Die Topographie des Geländes, ein leicht ansteigendes Gelände, war im vorliegenden Fall von Vorteil für die Anordnung von 2 Baukörpern, die sich in der horizontalen Anordnung auseinanderziehen, wie auch in der Höhe unterschiedlich positionieren. Der Wunsch der Eigentümer nach 2 voneinander getrennten und doch zusammenhängenden Baukörpern wurde damit Rechnung getragen. Von außen kann man nur zwei kleine Bauvolumen wahrnehmen, die sich gekonnt in die örtlichen Begebenheiten und in das Gelände einfügen, unterirdisch sind beide Gebäude miteinander verbunden.
Die Anordnung des Gebäudes in der Nähe des daneben verlaufenden Wanderweges mit seiner identitätsstiftenden angrenzenden Baumreihe ist der gegenüber liegenden Lawinenzone geschuldet. Auch hier wird ein Bezug zum Bestandgebäude wieder hergestellt. Der Weiler Ast mit seinen unterschiedlichen Bauernhöfen wurde bereits unter den Vorfahren städtebaulich so positioniert, dass die Gebäude den Naturgefahren Stand halten können. Die städtebauliche Anordnung des Bestandes hat das Grundprinzip der Beachtung der Naturgefahren als Ausgangspunkt. Dieses Prinzip wird auch bei der Verlegung des Bestandhofes Rechnung getragen.
Der Wunsch der Auftraggeber war neben der Schaffung von 2 getrennten Bauvolumen auch eine zeitgenössische, moderne Formensprache mit Zitaten und Materialien des historischen Kontextes. Daher fiel die Wahl der Dachform auch auf ein asymmetrisches Satteldach, auch als Zitat der historisch gewachsenen Umgebung. Materialien wie Holz und Stein, Ornamentik als Anspielung auf den abgebrannten Bestandhofes standen dabei im Vordergrund. Auch hier folgt der Entwurfsprozess einem psychologischen Faden, Zitate des historischen Kontextes als „Heilungsprozess“ für die dramatischen Ereignisse.
So harmonisch einheitlich sich beide Chalets von außen über das dunkel lasierte Lärchen-Holz mit einer vom alten Erbhof stammenden Ornamentik und ergänzt mit zwei „leuchtenden“ naturbelassenen Lärchenholz-Nischen präsentieren, so unterschiedlich zeigen sich beide Chalets im Inneren. Der tiefe liegende Baukörper ist von der Material- und Farbkonzeptwahl her vorwiegend in Lärche, lokalem Naturstein und Leinenstoff gehalten und präsentiert sich somit in einem modern interpretierten, alpinen Stil. Der obere Baukörper ist im Inneren das moderne, städtische Gegenbild davon. Hier finden wir eingefärbten Sichtbeton, Terrazzoboden und eine poppige Farbensprache bei den Einbaumöbeln.
Diese Wahl nach völlig verschiedenen Innenwelten entspricht dem Wunsch der Eigentümer, einerseits den historischen Kontext wieder neu herzustellen, andererseits auch mit der Vergangenheit zu brechen und diese neu zu interpretieren. So kann man den Wohnbereich des oberen Gebäudes als Neuinterpretation der bäuerlichen Stube erkennen: der Sichtbeton mit seiner getäfelten Holzstruktur ergibt mit dem zentral angeordneten farbigen Ofen den neuen zentralen Familienbereich.
Somit spiegelt die Innenwelt auch zwei Sichtweisen, zwei Interpretationen und somit auch zwei Herangehensweisen betreffend Aufarbeitung der Ereignisse. Einerseits wird mit der Vergangenheit gebrochen, andererseits neu interpretiert. Ein „Heilungsprozess“, der sich der Vergangenheit annimmt und sich in dieser wieder wähnt, und ein Zweiter, welcher gekonnt mit dieser brechen will und neue Kraft verleitet.

Grundstücksfläche: 9.230m2
Gebäudegrundfläche: 242.45m2
Bruttogeschossfläche: 627m2
Nettofläche Wohnen: 263m2
Fotografie: Gustav Willeit

“Angefangen bei der Machbarkeitsstudie bis hin zu sämtlichen bürokratischen Angelegenheiten begleiten mich die Architekten Erschbaumer und Seidner seit Beginn an durch den Planungs- und Bauprozess. Sie haben ein tolles Gespür für Ästhetik und Funktionalität.”

Frau B.Bauherrin